Papier verbindet Menschen

Seit fast zwei Jahrhunderten werden in der Papierfabrik Gmund Produkte geschaffen, die in der Symbiose aus überlieferter Handwerkskunst und modernster Technologie auch immer wieder Maßstäbe setzen. GREEN warf einen exklusiven Blick hinter die Kulissen und traf Inhaber Florian Kohler anschließend zu einem ausführlichen Gespräch. „Wir sind ein analoges Kommunikationsunternehmen. Mit unseren Produkten kann man Emotionen transportieren“, sagt der Firmenchef.

von Volker Hoffmann

Ob Oberflächenstruktur, Farbgebung, Grammatur, Haptik oder Geruch, Papier ist ein sinnliches Erlebnis. Und in Gmund, so ein Leitsatz des Unternehmens, ist man seit 1829 „Papiermacher aus Leidenschaft“. Damals gründete Johann Nepomuk Haas die Fabrik am

Ufer der Mangfall. Seitdem ist die Papierfabrik Gmund im Familienbesitz und wird heute von Florian Kohler in vierter Generation geleitet. Der Firmenchef und Inhaber hat BWL studiert, „das trockenste Fach der Welt“, wie er sagt, doch im Gespräch wird schnell deutlich, dass der viel zitierte Enthusiasmus für das Produkt „Papier“ nicht nur ein Lippenbekenntnis ist. „Wir sind ein eigenartiges Unternehmen“, meint Kohler. „Nicht im Sinne von seltsam, sondern im Hinblick auf unsere Produkte. Was auf den ersten Blick langweilig erscheinen mag, ist aber etwas ganz Besonderes. Für besondere Menschen, Firmen und Institutionen, die sich auch analog einzigartig präsentieren möchten.“ Die analoge Kommunikation mit Broschüren oder Produktkatalogen mutet im Zeitalter der ubiquitären digitalen Information rückständig an. Hat Papier denn noch eine Zukunft? „Sehen Sie“, meint Kohler, „wenn es um die reine Information geht, um Zahlen, Daten und Fakten zu einem neuen BMW zum Beispiel, ist Papier zu 99 Prozent Unsinn. Aber darum geht es ja bei vielen Marken gar nicht. Wenn ich Information in einem anderen Kontext transportieren will, auf einer emotionalen Ebene, werden die Menschen mit Papier auf einem ganz anderen Niveau erreicht. Analog komme ich viel besser an die Menschen ran.“ 

 

EMOTIONEN VON DER PAPIERMASCHINE

 

Jede Marke, so der Grundgedanke, ist darauf angewiesen, ein bestimmtes Image zu transportieren. Für Kohler müssen die Papierprodukte daher auch immer mit einem emotionalen Mehrwert für den Kunden verbunden sein, sonst hat es keinen Sinn. „Als analoges Kommunikationsunternehmen, bei dem Hightech und Handwerk eine Symbiose eingehen, geben wir Marken die Garantie, das richtige Papier für ihre Botschaft zu finden. Das ist wie ein sehr gut passender, handwerklich hergestellter Schuh.“ Und genau das ist auch die Philosophie der zehn Markenberater und Druckspezialisten, die Kunden bei der Auswahl und Verarbeitung des richtigen Papiers unterstützen. Wenn es sein muss, bis hin zur Qualitätskontrolle an der Druckmaschine. „Papier“, so Kohler, „hat aber noch einen anderen signifikanten Vorteil: Es ist ein reines Naturprodukt, die Rohstoffe wachsen immer nach und selbst wenn man es in den Wald wirft, ist es nach einem Jahr weg.“ Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit waren der Firma schon immer wichtig. Das hat sich gerade in Zeiten ökologischer Krisen noch verstärkt.  Heute gehören mondernste Anlagen zur Wasseraufbereitung, konsequente Abfalltrennung und -vermeidung sowie Energiegewinnung aus erneuerbaren Ressourcen zum Standard in der Produktion.

 

Florian Kohler

„Mit Papier erreichen wir Menschen auf einer sehr emotionalen Ebene“

DREI GESCHÄFTSFELDER

Gmund produziert mit rund 130 Mitarbeitern 50 Tonnen Papier pro Tag, auf zwei Maschinen. Verwendet werden ausschließlich beste Rohstoffe: hochwertige Zellstoffe, Mineralien und Füllstoffe, lichtechte Farben und Pigmente. Daraus werden in der Manufaktur über 100.000 verschiedene Papiersorten kreiert. Das meiste davon wird für das sogenannte „Packaging“ verwendet. Verpackungen und Kartonagen für Kunden wie den deutschen Schreibgerätehersteller Lamy und viele andere international bekannte Marken. „Auch nahezu jeder Dax-Konzern ist in irgendeiner Weise Kunde bei uns“, sagt Kohler. Die weiteren Geschäftsfelder sind „Kommunikation“ – dazu gehören z. B. Kunstkataloge, Magazine, Eventeinladungen, Modekataolge oder Unternehmensbroschüren sowie „Lifestyle“, womit Papierprodukte aller Art gemeint sind. Bei speziellen Kundenwünschen werden Papiere auch „maßgeschneidert“. Eine Sonderfarbe, ein spezielles Gewicht oder eine einzigartige Struktur – ein unternehmenseigenes „DNA-Papier“. Zudem gibt es über 100 gravierte Stahlzylinder, die dreidimensionale, faszinierende Oberflächenstrukturen schaffen. Daraus lassen sich Papiersorten kreieren, die sich in Farbe, Form, Grammatur und Funktion unterscheiden. 

Neben all den prosaischen Fakten zum nachhaltigen Herstellungsprozess und den beeindruckenden Ergebnissen kann der Chef aber auch mit der einen oder anderen Anekdote glänzen. Dass jahrelang die Umschläge bei der Verleihung der Oscars aus Gmund stammten, weiß zumindest am Tegernsee fast jedes Kind. Aber wer hat schon von der amerikanischen Milliardärin aus Kalifornien gehört, die sich ihre komplizierten und sehr aufwändigen Hochzeitskarten in Gmund hat anfertigen lassen. „Die Dame und ihr Zukünftiger haben uns hier besucht und alles bis ins kleinste Detail besprochen“, erzählt Kohler mit einer Kleinstspur von Koketterie. „Und  ich wurde später auch zur Hochzeitsfeier auf einer Insel vor San Francisco eingeladen. Ich sage Ihnen, es war genau so, wie man sich die Hochzeit einer Milliardärin vorstellt. Genau so.“

 

EXPORT IN 70 LÄNDER

 

Kohler erzählt die Geschichte über die „Hochzeitskarte im sechsstelligen Bereich“ nicht ohne feinsinnigem Humor. Sehr nachdenklich wird er, als er auf die aktuelle wirtschaftliche Situation angesprochen wird: „Wir sind Gott sei Dank ein finanziell sehr solides Unternehmen, aber die Corona-Krise hat uns voll erwischt. Schließlich werden rund 75 Prozent der  Papiere aus Gmund exportiert und in 70 Länder auf alle Kontinenten geliefert. InAsien und Italien, zwei unserer Hauptabsatzmärkte,  ist das Geschäft völlig zusammengebrochen und läuft erst ganz langsam wieder an. Auch Großkunden aus dem Automotive-Bereich sind immer noch sehr zurückhaltend.“ Die Eigenkapitaldecke der Firma ist offenbar noch so komfortabel, dass die Auswirkungen der Pandemie zwar spürbar sind und auch ein Loch in die Kasse reißen, aber nicht die Existenz bedrohen. Andere Wege der Kapitalbeschaffung, etwa durch Fremdinvestoren oder gar die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, will Kohler nicht beschreiten. Kein Thema. Staatshilfen hat der Unternehmer nicht in großem Stil in Anspruch genommen. Kurzarbeit ja, aber die „Bazooka“, von der Herr Scholz gesprochen hat, ist bei uns nicht angekommen“, sagt der Chef. Überhaupt seien die Corona-Wirtschaftsprogramme für viele Mittelständler, Maschinenbauer zum Beispiel, so gut wie wirkungslos. „Aber ich werde bestimmt bald auch wieder lachen können. Vielleicht machen wir dann ja auch eine kleine Feier. Eine schöne Einladungskarte werden wir schon hinkriegen.“