Die Würzburger Residenz: mit 360 Zimmern einziger Superlativ
Würzburg ist weit mehr als blosses Kreuzfahrtziel

Rebstock, Residenz und Riemenschneider

Am Kai geht es fast zu wie in Hamburg oder Rotterdam. Dabei liegt Würzburg nur am beschaulichen Main. Von weit her kommen sie, um die Stadt zu sehen: aus den USA, sogar aus Australien und Neuseeland. Mehr Entfernung geht nicht.

Sie kommen über den Rhein und wollen zur Donau, und dazwischen liegt als landschaftlich reizvolle Achse der Main. Viermal täglich legen Kreuzfahrtschiffe im Würzburger Hafen an. Rund 1.000 Touristen seien das pro Tag, rechnet Stadtführer Michael Spangenberger vor. Einmal an Land, gehen sie hoch zur Festung Marienberg, dann wieder runter, um im Ort die Residenz zu besuchen, und um die verschiedenen Rebsorten der ansässigen Winzer zu probieren.

Wein, soweit das Auge reicht

Drei der vier größten deutschen Weingüter – nur Kloster Eberbach im Rheingau hat mehr Hektar – liegen in Würzburg. Nicht ohne Stolz zählt Günther Schulz vom Tourismusamt die drei fränkischen Rekordhalter auf: vorneweg das Weingut Juliusspital mit 180 Hektar, gefolgt vom Staatlichen Hofkeller – seine Geschichte reicht bis ins Jahr 1128 zurück, ist damit eines der ältesten Weingüter der Welt – und dem mit 700 Jahre ebenso ganz schön betagten Weingut Bürgerspital. Große Flächen also, kein Profit allerdings. Denn den Erlös aus dem Weinanbau stecken diese Spitäler seit jeher in ihre Sozialarbeit, etwa die Pflege von Bedürftigen. 

Eine weitere Tradition hat die Weintraube hervorgebracht: Jeden Freitag nach Dienstschluss pilgern die Würzburger zur Alten Mainbrücke, um dort, ein paar Meter über dem Fluss, ein Gläschen Wein zu trinken und vom Arbeits- auf den Wochenendmodus umschalten. Mit freier Sicht auf die Weinberge. Vom Steinwein der gegenüber der Brücke seinen Ursprung hat, soll schon Johann Wolfgang von Goethe begeistert gewesen sein und 800 Flaschen bestellt haben. Die Rechnungsbelege gebe es wohl noch in der Stadt. Wohlsein.

Blick auf die Würzburger Schifffahrt
Blick auf die Würzburger Schifffahrt
Weinberg "Würzburger Stein"
Weinberg "Würzburger Stein"

Prachtvolles „Pfarrhaus“

Rechts, flussabwärts, die Weinberge, links die Stadt, die es so fast gar nicht mehr gegeben hätte. 19 Minuten haben gereicht, um Würzburg am 16. März 1945 in Schutt und Asche zu bomben. Nur 11 Häuser blieben unverschont, der Rest war Ruine. Man überlegte, die Stadt im nahen Randersacker wieder aufzubauen. Doch davon hielt Kunsthistoriker John Davis Skilton nichts. Er, der von Juni bis Oktober 1945 als amerikanischer Second Lieutenant in Würzburg stationiert war, wollte die Stadt retten; vor allem die Residenz: Vieles hatte das Feuer zerstört, auch die Dachstühle, so dass die noch erhaltenen Gewölbe von Balthasar Neumann bedrohlich der Witterung ausgesetzt waren.

Skilton und sein Team organisierten Holz, Dachpappe und Zement für Notdächer. So gelang es, nicht nur Neumanns Kunst, sondern auch die berühmten Fresken von Giovanni Battista Tiepolo im Kaisersaal und im Treppenhaus zu retten. Der venezianische Maler war im Barock einer der bedeutendsten seiner Zunft, sein Deckengemälde über dem Treppeneingang ist noch heute ein Werk der Superlative, allein schon seiner Maße wegen: mit 677 Quadratmetern eines der größten zusammenhängenden Fresken der Welt. Die ganze Residenz ist ein einziger Superlativ: 360 Zimmer hat sich Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn gewünscht und Barock-Baumeister Neumann hat die Residenz entsprechend entworfen. 500 Diener scharte der Fürstbischof damals um sich, 200 allein in der Residenz. Napoleon, der im heutigen Weltkulturerbe dreimal zu Gast war, sprach vom prachtvollsten Pfarrhaus Europas.

Imponierendes Spiegelkabinett

Ihm imponierten die Fresken, natürlich, aber auch der Weiße Saal mit seinen filigranen Stuckarbeiten und das Spiegelkabinett mit den 600 Spiegeln, deren Übergänge von Stuck und zwei Kilogramm Blattgold kaschiert sind. Nicht jedermanns Wohnzimmergeschmack, indes außergewöhnlich. „Der Staatspräsident von Singapur, der hier vor drei Jahren zu Gast war, hätte das Zimmer am liebsten mitgenommen“, erzählt Schlossführerin Susanne Streichfuß.

Bedeutende Künstler

Zu all dieser Schönheit haben der Stadt zwei herausragende Künstler und Handwerker ihrer Zeit verholfen: besagter Residenzerbauer Neumann und Bildhauer Tilman Riemenschneider, beide weit über die Grenzen Würzburgs, Bayerns und Deutschlands hinaus bekannt. Ihre Häuser stehen, eine nette Laune der Kunstgeschichte, vis-à-vis in der Würzburger Innenstadt. Kennengelernt haben sich die beiden allerdings nie, lebten sie doch in unterschiedlichen Jahrhunderten.

Nur fünf Gehminuten entfernt, am Würzburger Marktplatz, kann man gleich 16 Werke von Riemenschneider bestaunen. Es sind seine überdimensionalen Steinfiguren, die die Marienkapelle säumen. Die bekanntesten unter ihnen: Adam und Eva am Südportal. Sie schrieben Geschichte, weil die Figur Adams – so hatte der Auftraggeber damals gefordert – drei Fingerbreit größer als Riemenschneider selbst werden sollte. Es entstand folglich ein besonders stattlicher Adam, denn Riemenschneider war mit 1,85 Metern ein Riese seiner Zeit, der seinen durchschnittlichen Zeitgenossen um gut 25 cm entwachsen war.

Riemenschneider prägte die Stadt auch politisch. Viele Jahre war er Ratsherr, in den Jahren 1520 bis 1521 sogar Bürgermeister. Er setzte sich für die Bauern ein und wandte sich gegen die Steuerfreiheit von Adel und Geistlichkeit – und hatte damit eine Schar an einflussreichen Menschen gegen sich. Riemenschneider endete in Randersacker im Kerker, acht Wochen lang wurde er gefoltert, danach enteignet und entrechtet. Ob dieses Schicksals könnte der Blick der „trauernden Maria“ auch ihm gelten. Die Figur, eines seiner bekanntesten Werke, steht im Mainfränkischen Museum neben der Festung.

Das Ende des Rundgangs

Und noch ein Bekannter von Rang und Namen prägte die Würzburger Geschichte, nicht baulich allerdings, sondern lyrisch: Walther von der Vogelweide, der Minnesänger. Ihm ist ein Grabmal im Lusamgärtchen, im Kreuzgang des Neumünsters, gewidmet. Einst war er von Burg zu Burg gezogen, um den Burgfrauen seine Lieder und Verse vorzutragen. Bis er sich schließlich in Würzburg niederließ, das war vor rund 700 Jahren. „Herr Walther von der Vogelweide, swer des vergaeze, der taet mir leide“, steht auf dem steinernen Denkmal. Obenauf liegen ungeordnet Blumen. Unglücklich Verliebte haben sie hier gelassen. Das soll das Glück zurückbringen. Mit diesem Besuch am Grabmal des Minnesängers schließt meistens auch der Stadtrundgang der Kreuzfahrt-Gäste, die sich dann weiter auf den Weg durch Unterfranken machen, den Main flussaufwärts.