Erst nach dreijähriger Diskussion findet 1966 der Vorschlag, die Frühlingsstraße in Bert-Brecht-Straße umzubenennen, im Augsburger Stadtrat eine Mehrheit. Ähnlich reserviert zeigen sich die Stadträte, als am heutigen Brechthaus eine Gedenktafel zu Ehren des Dichters angebracht wird – an der feierlichen Enthüllung nahm man, politisch abgeneigt, nicht teil. Erst zum 100. Geburtstag des Dichters scheint man mit Brecht versöhnt. Am 10. Februar 1998 wird im Rahmen eines Festakts das Augsburger Brechthaus eröffnet. Und seit 2010 gibt es das jährliche „Brechtfestival“ mit Lesungen, Konzerten, Theateraufführungen und Workshops.
Nicht nur den Augsburgern war Brecht schon immer suspekt. Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen, dem „Großschriftsteller“ Thomas Mann, ist Brecht antibürgerlicher Rebell, Frauenheld, ehrgeiziger Vermarkter seiner Werke, Kommunist im kalifornischen Exil und nach seiner Rückkehr eng verbunden mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Helene Weigel, leitete er bis zu seinem Tod 1956 das berühmte Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm. Doch erste Arbeiten und seine bedeutenden Frühwerke entstehen in Augsburg. Zahllose Texte werden in der mit Mitschülern des Königlichen Realgymnasiums gegründeten Zeitschrift „Die Ernte“ veröffentlicht, auch in der München-Augsburger Abendzeitung publiziert
Brecht Kritiken. Später entstehen in Zusammenarbeit mit Freunden die Dramen „Baal“ und „Trommeln in der Nacht“, sowie Lieder und Gedichte. In Augsburg lernt er auch einige der vielen Frauen seines Lebens kennen, Paula Banholzer und Marianne Zoff, die beide je ein Kind von Brecht bekommen.
Innerhalb Augsburgs zieht die Familie Brecht mehrfach um. In der Bleichstraße und deren Umgebung verbringt der angehende Dichter seine Kindheit und Jugend. Auch während seines späteren Studiums in München kehrt er oft in die Augsburger Dachkammer zurück, die er als Bohème-Refugium einrichtet. Man macht zusammen Musik, dichtet in den nahe gelegenen Lechauen, zieht singend um die Häuser,inszeniert „ein ausgelassenes,provozierendes Treiben“, wie es im Augsburger Stadtlexikon heißt. Dass Brecht die gemeinsame künstlerische Produktion des Freundeskreises verschriftlicht und damit in den Status der Literatur erhebt, weist auf seine spätere Arbeitsweise voraus, die ebenfalls eine Reihe Ko-Autorinnen und Ko-Autoren kennt. Auch der musikalische Akzent vieler Dramen des Autors wurzelt in seuchenfreien Jahren. Gleiches gilt für seine Aufmerksamkeit für den Arbeiter-Alltag, den er zu dieser Zeit, als Bewohner der „Haindl-Kolonie“, hautnah miterlebt.
Doch neben diesen Impressionen wird der junge Brecht inAugsburg auch romantisch inspiriert. „Vorbei an meinem väterlichenHaus führte eine Kastanienallee entlang dem alten Stadtgraben; auf der anderen Seite lief der Wall mit Resten der einstigenStadtmauer. Schwäne schwammen indem teichartigen Wasser.“ Brecht spricht hier von der Augsburger Kahnfahrt, einemBootsverleih mit Biergarten, der bis heute im Familienbesitz ist. Eugen Bertolt sitzt dort oft am Wasser, liest und schreibt.
Auch eines von Bertolt Brechts schönstenGedichten wollen manche hier verorten,die „Erinnerung an die Marie A.“. Der Name erinnert an Marie Rose Amann, die Brecht 1916, da ist er 18 Jahre alt, in einer Augsburger Eisdiele kennenlernt und hier am Kanal zum ersten Mal geküsst haben soll. Der biografische Bezug ist jedoch unklar, da Brecht gleichzeitig wohl auch Marias ältere Schwester im Blick hat, die auf den Rufnamen Maria hört. Marie Rose Amann selbst erzählt später in einem Interview,sie habe aus Angst vor Bestrafung durchLehrer und ihre Eltern die Beziehung zu Brecht aufgegeben und ihn einfach an ihre FreundinPaula Banholzer weitergereicht. Einfach waren auch sie offenbar nie, die Beziehungen zwischen dem Literaten und den schönen Töchtern der Stadt Augsburg.