Die Festspielstadt Bayreuth ist während der Sommermonate Treffpunkt für begeisterte Wagnerianer
Bayreuth ist während des Sommers Treffpunkt begeisterter Wagnerianer
Wagnerstadt Bayreuth

Wecker stellen für die Kultur

Von Mitte Juli bis Ende August herrscht in Bayreuth eine enorme Promidichte. Begeisterte Wagnerianer strömen nach Bayreuth zu den Wagner-Festspielen.

„Irgendwann sitzen wir alle in Bayreuth zusammen und fragen uns, wie wir es nur irgendwo anders aushalten konnten.“ Das Bonmot des Philosophen Friedrich Nietzsche kennt in Bayreuth jeder. Die oberfränkische Stadt bewegt sich heute zwischen Wagner und Wilhelmine, zwischen Sport, Braukunst und Universität. Von Stefan Brunner

Acht Uhr, die Luft beißt noch, obwohl die Bäume auf dem Grünen Hügel schon die ersten Strahlen der Augustsonne hindurchlassen. Vor dem Kasseneingang des Festspielhauses ist indes noch Schatten. Schatten auch im übertragenen Sinn. Denn ob es für die fünf Richard-Wagner-Fans, die dort warten, ein Tag mit sonnigem Ausgang wird, ist noch ungewiss. Die begehrten Karten für die „Götterdämmerung“ sind ausverkauft – so der traurige Zustandsbericht. Für sämtliche Opern und sämtliche Aufführungstage der nächsten fünf Wochen sind die Karten vergriffen – das macht es für die fünf Wartenden auch nicht besser. Ihre Hoffnung beruht allein darauf, dass heute einer der 1974 Kartenbesitzer verhindert ist und sein Ticket zurückgibt. 

Andernfalls bliebe der kleinen Gruppe eine Führung durch das Festspielhaus. Die nämlich ist nicht schon Monate im Voraus ausverkauft. Und: Auch das wäre ein lohnendes Erlebnis für den Opernliebhaber, der dann auf die vielen Besonderheiten des Hauses stößt, etwa den einzigartigen Orchestergraben, der vom Publikum nicht eingesehen werden kann. Er verliert sich in dunklen Tiefen des Raums, ähnlich mystisch wie die Opernthemen Richard Wagners. Die Cellistin und der Oboist können ihrer Aufgabe also auch im Freizeitgewand nachkommen, kurze Hosen, T-Shirts, Turnschuhe, dem Zuschauer bleibt es verborgen. Vorborgen bleibt ihm auch, wie die Musiker ins Schwitzen geraten, denn es ist eng und kein Leichtes, das Auditorium indirekt zu beschallen. So kommen hier nur die Besten zusammen und sorgen für ein unvergleichliches Akustik-Erlebnis.

Wagner-Festspiele

1876

fanden die ersten Wagner Festpiele in Bayreuth statt.

Festspiel-Aura überall

Wer dann meint, den Festspielhügel ausreichend ergründet zu haben, nimmt Kurs auf die Innenstadt des oberfränkischen Regierungssitzes. Der Marktplatz, die Fußgängerzone mit ihren kleinen Gassen, das Neue Schloss, der die Stadt überragende Schlossturm, all das darf der Bayreuth-Besucher ja nicht verpassen. So ganz entlässt ihn die Festspiel-Aura aber nicht: Der Weg ins Stadtzentrum führt über die Siegfried-Wagner-Allee (Namensgeber ist der dritte Sohn des Komponisten) und die Nibelungenstraße (1876 uraufgeführtes Mammutwerk Wagners). Irgendwann steht der Besucher dann, genau, in der Opernstraße mit ihrem Markgräflichen Opernhaus, einem der schönsten Barocktheater Europas. Die Sehenswürdigkeit war vor dem Bau des Festspielhauses Deutschlands größte Bühne und ist heute UNESCO-Welterbe. Die beiden Opernhäuser in Kombination machen Bayreuth zum kunstmusikalischen Superlativ: Setzt man die addierte Zuschauerplätze-Zahl von 2.497 in Relation zur Einwohnerzahl von 71.500, dann ergibt sich ein weltweiter Spitzenwert.

Markgräfin Wilhelmine, eine Schwester Friedrichs des Großen, ließ Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur das Opernhaus bauen, sondern auch die Parkanlage Eremitage am Stadtrand. Dort, zwischen Sonnentempel und Altem Schloss, steigt am 30. Juli wieder der verführerische Rauch der Bratwurstgriller auf. Jedes Jahr kommen die Bayreuther hier auf höfischen Grund zum fränkischen Sommerfest zusammen, tanzen, essen, trinken und machen Picknick auf der großen Wiese, um bei Einbruch der Dunkelheit Bayreuths größtes Feuerwerk zu sehen.

Sportliche Sentimentalitäten

Doch zurück ins Stadtzentrum, weiter auf den Spuren des Komponisten. Und auf den Spuren der Markgräfin – die sich, was weniger bekannt ist, ebenso im Komponieren und auch im Schauspiel versucht hat. Mit Voltaire höchstpersönlich soll sie auf der Bühne gestanden haben. Vorbei führt der Weg heute an den Bürgerhäusern der Fußgängerzone und dann wahlweise ins Jean-Paul- oder Richard-Wagner-Museum. Oder ins Museum des Schwiegervaters, des Klaviervirtuosen Franz Liszt.

Oder man lässt die Kultur mal kurz ruhen und setzt sich in eines der Straßencafés, plaudert mit dem Einheimischen vom Nachbartisch über die sportlichen Ambitionen der Stadt. Schnell rutscht der Urbayreuther dann mit seinem Stuhl heran und driftet ins Sentimentale ab, erzählt von den Fußballern, den Altstädtern, die fast einmal in die Fußballbundesliga aufgestiegen wären – hätte Bayer 05 Uerdinger 1979 nur nicht das Relegationsspiel gewonnen. Heute dribbelt das Team durch die Regionalliga. Die Eishockey-

Mannschaft hat es einst sogar für ein Jahr ins Oberhaus geschafft. Doch in der ersten Liga sind nach wie vor nur die Bayreuther Basketballer. An ihre Erfolge aus den 90ern können aber auch sie nicht anknüpfen. Damals zählten sie zum Besten, was Deutschland zu bieten hatte. Ihr Drei-Punkte-Garant Michael Koch, Europameister von 1993, spielte ein paar Jahre in Griechenland und ist heute wieder zurück, als Trainer des Teams. Bayreuth mal zu verlassen und irgendwann wieder in die Heimat zurückzukehren – genau diese Art der Verbundenheit schätzt der Oberfranke und eben auch der Bayreuther Fan. Mehr als 3000 Anhänger kommen zu den Heimspielen, um ihr Team anzufeuern.

Eine Universität mit Renommee

Bayreuth ist also Kulturstadt, Sportstadt, Bierstadt – das umfangreichste Brauereimuseum mit Guinness-Buch-Eintrag steht hier – und Universitätsstadt. Der Campus liegt nicht weit hinter dem Hofgarten und beheimatet ein paar Fakultäten, die man in der wissenschaftlichen Community deutschlandweit und international kennt und schätzt, allen voran die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Ebenso gilt die Sportökonomie als Wegbereiter dieser Fachrichtung.

Manchmal sind es dann auch kulturbegeisterte Studenten, die sich morgens um acht auf den Grünen Hügel zum Festspielhaus aufmachen. Im Anzug, im Kostüm, denn Zeit zum Umziehen bleibt ja nicht, wenn um 15.50 Uhr – mittlerweile knallt die Sommersonne auf den Vorplatz – zwei Karten zurückgehen und schon zehn Minuten später das Orchester zur Ouvertüre ansetzt. Vielleicht ergattern zur Premiere eher Prinz Charles, Angelika Merkel oder Thomas Gottschalk die begehrten Plätze, alle drei waren sie schon Festspielgäste. Falls es also, so viel Trost muss sein, für die fünf Frühaufsteher nicht mit der ersten Vorstellung der „Götterdämmerung“ klappt – weitere Aufführungen folgen, bis das Festspielhaus am 28. August für ein knappes Jahr wieder die Pforten schließt.