Felix Neureuther im GC Garmisch-Partenkirchen ©V. Hoffmann
Felix Neureuther im Gespräch

„Wer sechs Stunden auf einem Stuhl sitzt, kann sich nichts mehr merken“

Lässig die Golftasche geschultert, kommt Felix Neureuther zum Gespräch in seinen Heimatclub GC Garmisch-Partenkirchen. „Servus, ich bin der Felix“, sagt der beste deutsche Skirennläufer aller Zeiten zur Begrüßung. Wir sprechen über die Werte des Sportsund die Vorbildfunktion von Spitzensportlern. Vor allem aber reden wir wir über sein Förderprogramm für Kinder: „Beweg Dich schlau“.

Hinweis der Redaktion: Dieses Interview mit Felix Neureuther wurde im August 2022 geführt. Anlässlich seines Geburtstags veröffentlichen wir es nun erneut. In dem Gespräch spricht er auch über seine Mutter, Rosi Mittermaier, die inzwischen leider verstorben ist.

green
Felix, am Freitag gibt es bei Ihnen doch bestimmt ein schönes Familienfest? Ihre Mutter Rosi feiert ihren 72.Geburtstag....

Felix Neureuther
Das stimmt, aber das Fest wird sehr klein ausfallen..wir sind nicht so die großen Geburtstagsfeierer.

Haben Sie denn schon ein passendes Geschenk?
Ja, die Mama bekommt die gleiche Keramik-Salatschüssel, die ihr vor Kurzem aus der Hand gefallen ist...praktische Dinge braucht man im Leben.

In Bezug auf Ihre Mutter habe ich Ihnen übrigens etwas voraus...
Ach ja...

Im Gegensatz zu Ihnen konnte ich Rosis Olympiasiege 1976 live im Fernsehen verfolgen. (Felix Neureuther kam 1984 zur Welt, Anm. d. Red.) Aber was ich bislang nicht wußte: Danach hat sie innerhalb eines Monats 27.000 Briefe auf die Winklmoosalm erhalten. Es gab offenbar eine sehr enge, fast liebevolle Verbindung von Athlet zu Fan. Gibt es derart innige Verbindungen heute auch noch im Spitzensport.

Nein, die gibt es nicht mehr. Der Sport hat sich komplett verändert. Die Stars von früher
waren extrem nahbar. Die Professionalisierung findet im Leistungssport heute sehr früh statt. Das Trainingsprogramm, dass ich als 18-Jähriger hatte, absolvieren heute schon die 12-Jährigen. Dadurch verliert man schon früh diese persönliche Nähe.

Manager und Berater, die Sportler abschotten, tragen sicher auch dazu bei, Und der Star selbst kann ja alles bequem vom Sofa aus posten. Erzeugt das eine Pseudo-Nähe?

Was nicht verstanden wird: Der Sportler muss nicht immer und überall geschützt werden,
er ist Teil des Publikums. Warum braucht man so viele Zäune? Warum bauen die Sportler Schutzhüllen auf? Wenn Tiger Woods in Augusta den Ball schlägt, stehen die Zuschauer einen Meter daneben. Das wollen die Menschen erleben und das schafft Nähe und Emotion.

Sind sich heutige Spitzensportler ihrer privilegierten Stellung immer bewußt und nehmen sie ihre Rolle als Vorbilder ernst?

Das hat sich auch komplett verändert. Wir und die Generation meiner Eltern sind anders
aufgewachsen. Jemand von der Winklmoosalm, der plötzlich zum Star wird, das ist heute undenkbar. Aber genau das sind die Geschichten, die die Menschen lieben. Wenn die Eltern heute nicht genügend Geld haben und den Wahnisnn mitmachen, hast Du heute gar keine Chance. Mit zehn Jahren fahren die Kinder haute im Sommer auf 3.500 Meter, um dort zu trainieren. Die Mama hat ́s Skifahren gelernt, indem sie morgens mit den Skiern zur Schule gefahren ist und danach ist sie zu Fuß wieder hoch.

Das klingt nach Sportromantik, das Rad kann man nicht wieder zurück drehen.

Nein, aber man kann zumindest versuchen, die Nähe zum Publikum wieder herzustellen. Sehen Sie, mein großes Vorbild war Alberto Tomba und als ich den getroffen habe, hat sich mein Leben verändert. Ich war sehr nah dran an ihm, wegen Alberto Tomba wollte ich Skirennfahrer werden.

Lassen Sie uns über Ihr Buch sprechen, „Für die Helden von morgen“. Gemeinsam mit anderen Sportstars zeigen Sie Missstände im Profisport und in der allgemeinen Sportförderung auf. Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden?

Mein Gedanke war: wie geht’s mit dem Sport weiter, wie schaffen wir es, wieder Emotionen bei den Menschen zu wecken. So, dass die Werte des Sports im Vordergrund stehen, nicht das Monetäre. Heute läuft die Wertschätzung für einen Sportler nur noch über Geld. Golf ist mit der LIV Tour dafür doch ein gutes Beispiel. Wieso muss jetzt die PGA Tour mit den Preisgeldern da nachziehen. Die Teilnahme am Masters Turnier sollte ein Privileg sein, eine Ehre, das ultimative Ziel für den Golfer. Diese Entwicklung sehe ich sehr sehr kritisch.

Arnold Schwarzenegger, der in Ihrem Buch zu Wort kommt, fordert: „Wer eine Stunde am Computer hockt, soll sich zwei Stunden sportlich betätigen.“ Das wird nicht funktionieren. Kinder und Jugendliche verbringen durchschnittlich vier Stunden pro Tag im Internet. Dann müssten die nach dieser Rechnung acht Stunden Sport treiben.....

Diese Entwicklung ist in der Tat erschreckend. Mit meinem „Beweg Dich schlau“- Programm sind wir ja in Kitas und Grundschulen aktiv und sehen die Defizite. Ich rede
übrigens gar nicht von Sport, sondern nur von Bewegung. Die Skandinavier machen da sehr viel richtig, die Norweger sind von Klein auf immer draußen, das ist der Spielplatz, nicht das Handy. Ein großes Zukunftsthema ist die Bewegungsarmut der Gesellschaft.

Felix Neureuther im GC Garmisch-Partenkirchen ©V. Hoffmann

Alle Informationen zu "Beweg dich schlau" finden Sie hier:

Der Anteil der deutschen Grundschulkinder, die nicht einmal Mindeststandards erreichen ist deutlich gestiegen. Beim Lesen auf 19%, in der Rechtschreibung von 22 auf 30 Prozent, in Mathe von 15 auf 22 Prozent. Dass die Kinder nicht rückwärtsgehen oder Purzelbäume schlagen können, ist angesichts solcher Zahlen doch zweitrangig....

Wissen Sie, warum diese Zahlen steigen: weil die Kinder sich viel zu wenig bewegen.
Wer sechs Stunden auf dem Stuhl sitzt, kann sich nichts merken. Durch Bewegungsmangel werden diese Zahlen in Zukunft noch negativer. Warum sind die Skandinavier in der Schule so gut? Weil sie Sport- und und Bewegungsprogramme in den Unterricht einbauen.

Ihre Lösung für Kindergärten und Grundschulen heißt „Beweg Dich schlau“

Das Programm ist gemeinsam mit der TU München entwickelt worden. Wir gehen damit in Kitas und Grundschulen. Grundgedanke ist, dass die Verknüpfung von Denken und Bewegung die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern kann. Wir fördern mit speziellen Übungen die Beweglichkeit, Koordination, Kraft, Gleichgewicht und Schnelligkeit und gleichzeitig kognitive Fähigkeiten. Die Aufnahme- und Leistungsfähigkeit der Kinder nimmt zu. Aber eigentlich ist es dramatisch, das man ein solches Programm überhaupt braucht, es sollte selbstverständlich sein.

Bastian Schweinsteiger und Felix Neureuther beim Beckenbauer Cup im Quellness Golf Resort Bad Griesbach ©Quellness & Golf Resort / Pedagrafie

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Als ich noch aktiv war, habe ich stupides Krafttraining im Gym gehasst. Also bin ich mit meinem Trainer raus ins Freie gegangen, habe dann Kraft auf verschiedenen Untergründen trainiert, auf Waldboden, auf einer Wippe. Alles sehr spielerisch. Und obwohl ich weniger trainiert habe, hatte ich bessere Werte als die anderen. Bei jede Übung bin ich herausgefordert worden, vor allem auch geistig. Und siehe da, auf einmal habe ich viel besser funktioniert. Vor mir hat im Rennen erstmal keiner Angst gehabt, aber dann hat sich das geändert, mit deutlich weniger Training, und bei den Rennen habe ich plötzlich geliefert.

Ein erkennbarer Zusammenhang zwischen kognitiver Anstrengung und sportlicher Leistungsfähigkeit.

Das Athletische ist im Spitzensport ausgereizt, jeder weiß, was zu tun ist. Beim Training, bei der Ernährung und so weiter. Aber die Leistungsfähigkeit, die Du übers Gehirn erreichen kannst, ist bei weitem nicht ausgereizt. Die „Neuro-Athletic Coaches“ in den USA machen heute genau die Übungen, die ich vor 15 Jahren schon gemacht habe. Wenn Du versuchst, Dich als Sportler weiter zu entwickeln, dann muss das Gehirn Teil des Programms sein. Der entscheidende Faktor ist immer der Kopf. All diese Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Profisport möchte ich an Kinder weiter geben.

Mit welchem Ziel?

Das war ganz klein (lacht). Ich wollte möglichst schnell den ganzen Schulunterricht revolutionieren. Eine Stunde Sportunterricht pro Tag. Ich will Kinder zu mehr Sport motivieren und ihnen Freude an der Bewegung vermitteln, sie dazu bringen, mit spielerischen Bewegungsübungen Kopf und Körper gleichzeitig zu aktiveren.

Jetzt kommt also der Felix Neureuther und sagt den Kindergärten und Schulen, was sie alles falsch machen...

Natürlich trifft man anfangs auf Skepsis und Widerstände. Vor allem in der Politik. Ich habe dann gelernt, dass man mit Unternehmen zusammen arbeiten muss, um wirklich
etwas zu erreichen. Ich mache das seit 2014 und seit zwei Jahren mit einer eigenen Stiftung. Wir erfahren so viel Dankbarkeit von den Erzieherinnen und Erziehern, von Lehrerinnen und Lehrern und von den Kindern. Bundesweit sind aktuell 600.000 Kinder im Programm.

Wer unterstützt Sie ?

Ziel war, die Stiftung so aufzustellen, dass wir nicht auf Spenden angewiesen sind, sondern dass die Stiftung geführt wird wie ein Unternehmen ist. Wir bieten das Programm Kitas und Schule an, und zwar so, so dass sich dass auch wirklich jeder leisten kann. Es gibt ehrenamtliche „Beweg-Dich-schlau“-Coaches und auch Headcoaches auf Honorarbasis, die das Programm begleiten. Zweimal pro Jahr gibt es eine Fortbildung und das Programm wird fortlaufend von der TU München evaluiert.

Golfclub Garmisch-Partenkirchen e.V.
Gut Buchwies 1
82496 Oberau

Um all das zu finanzieren schreiben Sie auch Kinderbücher und veranstalten Golf-Turniere...

Ich will nicht nur über rote Teppiche laufen und irgendwie Geld einsammeln, sondern aktiv gestalten. Die Einnahmen aus meinen Kinderbüchern fließen komplett in die Stiftung. Und Golfturniere veranstalte ich selbständig und kann entscheiden, wen ich dazu einlade.

Bei einem Turnier in Beuerberg haben Sie heuer zusammen mit Startgeld, Spenden und einer stillen Versteigerung 195.000 Euro eingenommen.

Das war der Wahnsinn, ein perfekter Tag. Da waren tollen Leute dabei, die auch immer bereit sind, etwas zu geben. Auch mit den Eagles habe ich eine schöne Kooperation.
Wenn jemand etwas spendet, kann er das zielgerichtet nach seiner Wahl tun und sich einen Kindergarten oder eine Schule aussuchen, damit das Geld dort landet. Mit 195.000 Euro kann man sehr viel machen, das ist auch nötig, denn wir bekommen extrem viele Anfragen. Mit dem Geld gehen wir vorrangig dorthin, wo die Kinder es am nötigsten haben.

Sie sind mit HC 12 selbst ein ganz guter Golfer. Wann haben Sie angefangen Golf zu spielen?

Anfang 20, zusammen mit meinem Vater und meinem besten Spezl. Leider spiele ich viel zu wenig. Wenn ich spiele, dann meistens um sieben in der Früh eine kurze 9-Loch Runde.

Welchen Schlag würden Sie gerne perfekt beherrschen?

Die Kugel 250 Meter weite hauen können viele, aber einen schönen Bunkerschlag auf ́s Grün, da sieht man am ehesten ob einer gut ist oder nicht.

Sie haben drei Kinder.Wohin werden die geschickt? Zum Tennis, auf die Piste oder auf den Golfplatz?

Wir schicken sie zum Sport, egal zu welchem. Man sollte Kinde nich zu früh zu einer einzigen Sportart drängen. Die sollen sich austoben. Dich im Alter von zehn, elf Jahren komplett auf eine Sportart zu fokussieren ist aus meiner Sicht Unsinn. Die sollen vor allem Spaß haben.

Letzte Frage: Sie haben gerade einen schwierigen Berggipfel erklommen. Was machen Sie zuerst: zu Hause anrufen, einen Gipfelschnaps trinken oder ein Handyfoto?

Ich mache ein Foto - mit den Augen.

Besten Dank für das Gespräch, Felix.